Mein Recht, keine Angst zu haben

Irrationale Angst ist die Krankheit des westlichen, zivilisierten Menschen. Sie ist wie ein Virus, der sich einschleicht, sie ist ein Bestandteil, der nicht zum Leben gehören sollte. Irrationale Angst ist ein Fremdkörper. Sie ist etwas, das wir aufdecken, bloßlegen, besiegen müssen.

Rationale Angst ist ein Bestandteil unseres Lebens. Wer meint, keine solche Ängste haben zu müssen, denkt illusionär. Unsere menschliche Strategie ist die, der Angst auszuweichen, sie zu hintergehen, sie wegzuschieben, sie zu verdrängen.
Wir müssen stark genug werden, um Gegenkräfte zu entwickeln, welche die Angst aufdecken oder zumindest diese in Schach halten.

Angst ist immer eine individuelle, persönliche Angst, die aus mir selbst kommt und von mir nach außen geht.

Angst ist ein Warnsignal, ein Impuls, ein Gefahrenanzeiger, der in sich die Aufforderung enthält, die Ursache der Angst zu überwinden. Ängste sind natürliche Bestandteile unseres Lebens. Aber wie gehen wir mit ihnen um?

Das Angstsignal setzt immer dort ein, wo ich einer Situation nicht gewachsen bin. Jeder Entwicklungsschritt, jeder neue Lebensabschnitt, alles Neue, Unbekannte, alles Fremde ist mit Angst besetzt. Stress ist Angst. Die reale Angst, die reale Gefahr, gilt es zu erkennen, um ihr dann ganz konkret aus dem Weg gehen zu können. Die reale Gefahr ist tatsächlich und wirklich, und sie ist die Gefahr, mit der wir umgehen müssen. Man weicht aus, flieht oder kämpft!

Die Angst, die aus dieser realen Gefahr erwächst, ist ursächlich, natürlich und Bestandteil unseres Lebens. Was uns krank macht, ist die irreale Angst. Diese ist nicht wirklich, sie ist eingebildet, gründet auf Illusionen und wird fälschlicherweise als real erlebt. Der Körper reagiert auf diese falschen Signale, als wären sie echte Signale. Der Körper wird in Aufruhr versetzt, wird zu Gegenmaßnahmen gezwungen für etwas, was es überhaupt nicht gibt. (12)

Eine große Gruppe von Menschen hat die unterschwellige Angst, aus der Geborgenheit der Gemeinschaft herauszufallen, isoliert zu werden und somit einsam und allein dazustehen. Jeder von uns gehört bestimmten Gruppen an, in denen wir uns wohl und heimisch fühlen. Entwickeln wir aber unser Ich, indem wir zum reifen, selbstständigen Menschen werden, müssen wir uns immer mehr von unserer Gruppe entfernen.

Wir erleben die Einsamkeit, die Angst, je mehr wir von der Masse der Menschen weggehen. Mit dem Prozess des Selbst-Werdens geht die Angst einher.

Dies ist mit einer Pyramide zu vergleichen. Die Grundfläche ist eine breite, feste Basis von Menschen mit ähnlichen Merkmalen. Man ist hier vollkommen abgesichert (meint man). Je weiter ich nun in der Pyramide nach oben steige, desto weniger Menschen sind um mich. Ganz oben stehe ich mutterseelenallein. Hier bin ich völlig aus der Sicherheit der Gruppe herausgetreten.

Je weiter ich nach oben gehe, desto stärker muss ich sein, denn die Angst rückt ebenfalls mit jedem Schritt näher. Diese Angst, die als Herausfallen aus der Geborgenheit erlebt wird, wurde ja in den ersten Lebensminuten hier auf der Erde tatsächlich erlebt. Und nicht nur die Angst davor: Es geschah tatsächlich! Jeder von uns fiel heraus, musste herausfallen aus dem Mutterleib, aus der Glückseligkeit, aus dem beglückenden kosmischen Bewusstsein, sonst wäre er ja nicht hier.

Gegen diese Angst nun entwickeln wir ausgefeilte Strategien. Man kann sie scheinbar überwinden, indem man sich zum Beispiel an einen Partner klammert. Am besten ist es, ich mache mir diesen Partner abhängig. Jede Lockerung dieser Abhängigkeit bedeutet allein gelassen werden, verlassen werden, bedeutet Verzweiflung und Traurigkeit. Diese Angst, die als ‘Depression’ bezeichnet wird, die man oft ‘grundlos’ nennt, ist immer Verlustangst, wobei der Verlust nicht ein Mensch sein muss. Es können Erinnerungen an vergangene Zeiten sein, an Plätze, an Orte, an eine Wohnung, die man besonders liebte, und vieles mehr.

Ein wesentlicher Grundzug, der dieser Angst folgt, ist das Hinnehmen, ist mangelndes Durchsetzungsvermögen, ist Nachgeben. Wer sich weigert, voll und verantwortlich erwach­sen zu werden, wird zum Objekt anderer oder des Lebens allgemein. Wer die Verantwortung, erwachsen zu werden, nicht übernimmt, schafft dadurch eine Bereitschaft, sich schuldig zu fühlen. Schuldig sein und minderwertig sein erzeugen Angst vor dem Leben.

Nach außen hin kann dies alles in einem positiven Kleid erscheinen: Mitleid, Verständnisbereitschaft, Einfühlungsvermögen, also Tugenden, die so mancher mit Stolz vor sich herträgt. Die scheinbare moralische Position, die moralische Überlegenheit, ist das Trostpflaster für ein versäumtes Leben!

Die zweite große Angstgruppe zeigt genau die gegenteiligen Merkmale, nämlich tiefe Angst vor mitmenschlicher Nähe. Es sind dies die kühlen, unpersönlich wirkenden, distanzierten Menschen, die vielleicht morgen schon den guten Kontakt von heute bereuen. Sie können nicht vertrauen: Nicht den Mitmenschen, nicht dem Leben. Manchmal trauen sie sich nicht einmal selbst.

Sie haben ständig Angst, das eigene ‘Ich’ zu verlieren, abhängig zu werden, Opfer von anderen Menschen zu werden, sich so sehr anpassen zu müssen, dass ihre eigene Person dabei verloren geht. Diese so stolzen und unnahbaren Menschen können zu Bündeln der Angst werden, Angst die gut unter der zugehaltenen Decke kocht.

Isolation macht feindlich. Durch Isolation geht Kontakt verloren. Ohne Wechselbeziehung mit der Umwelt geht die Orientierung verloren. Ohne Orientierung an seinen Mitmenschen entstehen Zweifel, ob die Wirklichkeit, die ich erlebe, die wirkliche Wirklichkeit ist. Gibt es vielleicht zwei Wirklichkeiten? Die Wirklichkeit ‘da draußen’ und eine eigene, selbst geschaffene, innere Realität?

Diese Menschen versuchen, den Verstand und die Logik als ihre Helfer heranzuholen. Für sie sind Gefühle trügerisch und gefährlich und deshalb geht der Verstand und das so genannte rationale Handeln über alles. Das, was die Gesellschaft „Intelligenz“ nennt, entwickelt sich oft überdurchschnittlich, das seelische Erleben aber ist unterentwickelt. Es sieht so aus, als würden alle zum Leben notwendigen Gefühle in einen anderen Kanal laufen, als der Verstand, so als wären dies zwei völlig getrennte Dinge, als hätten sie keine Verbindung zueinander.

Die Angst vor der Nähe wird nun mit dem untauglichsten Mittel bekämpft, das es überhaupt gibt: Man versucht die Unabhängigkeit von der Welt immer mehr zu vergrößern. Doch, je stärker die Isolation, desto stärker entwickelt sich die Angst und so geht dieser Teufelskreis weiter.

Was diese Menschen, wenn sie mächtig sind, so gefährlich macht, ist dies, dass sie zerstören. Dass sie sich selbst zerstören, das ginge noch an, aber sie zerstören in vielfältiger Weise das Leben überhaupt, unsere Lebensgrundlage, unsere Erde.

Die dritte große Gruppe der Mitmenschen wird geprägt durch die Angst vor der Vergänglichkeit. Wir sind geboren worden und haben uns in der folgenden Zeit, nach Kindheit und Jugend, häuslich eingerichtet. Das können wir in der Regel ruhig wörtlich nehmen. Wir haben nicht nur Beziehungen aufgebaut, wir haben auch ein wie auch immer geartetes Gleichgewicht geschaffen.

Wir gründen unser Dasein auf diesem Planeten Erde, als ob die Zielsetzungen ewig weitergingen, als ob das Hiersein unbegrenzt wäre, als ob es eine statische Welt gäbe, als ob Zukunft voraussehbar sein, als ob wir mit irgendetwas rechnen könnten, das bleibend wäre.

Den Wunsch, dass das, was ich liebe, bleibt, haben wir in alle. Den Menschen dieser Ausprägung geht jedoch das, was sie ‘Sicherheit’ nennen, über alles. Ihr Antrieb ist eine tiefe Angst vor der Vergänglichkeit: Etwas, was ich besitze, könnte plötzlich nicht mehr da sein, etwas das ich denke und glaube, könnte sich plötzlich als falsch erweisen. Ändere ich eine Verhaltensweise, dann war die vorige falsch. Das kann nicht sein und wird nicht sein!

Hinter jeder erstarrten, leblosen Lebensregel, sei sie religiös, politisch oder sonst wie motiviert, steht die Angst vor der Veränderung, die Angst vor der Vergänglichkeit, die Angst vor dem Tod. Man nennt diese Sicherheits-Menschen auch deshalb ‘zwanghaft’, weil sie alles um sich herum ihrem Willen unterordnen wollen. Allem Lebendigen, über das sie Macht haben, zwingen sie ihre Norm auf. Hier kann nichts leicht oder gar locker genommen werden. Hier kann man nicht einmal Fünf gerade sein, um Gottes willen! Da bricht ja die Weltordnung zusammen! Wenn ich nicht alle und alles kontrolliere, wenn ich nur ein wenig locker lasse, dann bricht das totale Chaos aus – die große Angst.

Die vierte Form der Angst ist genau das Gegenteil der Vergänglichkeits-Angst. Es ist die Angst vor dem Endgültigen, dem Unausweichlichen, die Angst, die Freiheit zu verlieren und eingeengt zu werden. Regeln, Gesetze, Gewohnheiten, alles was fest gefügt und statisch ist, was festzuhalten droht, was einengt und begrenzt erscheint, ist gefährlich und bedrohlich. Es ist die Angst vor Erstarrung, vor der Endgültigkeit.

Die Angst die Freiheit zu verlieren und durch Ordnungen oder Regeln eingeengt zu werden, ist bei diesen Menschen riesengroß, darum ist ständige Veränderung angesagt. Alles Neue wird bejaht, Risiko wird eingegangen und die ungewisse Zukunft ist die große Chance.

Der neuste Stand der Wissenschaft ist für diese Menschen nicht der aktuelle Stand des Irrtums, sondern die definitive Erkenntnis, auf welche die Menschheit schon so lange wartet! Das ‘Alte’ wird immer und sofort durch das ‘Neue’ aufgegeben. Nichts, was mit meiner Person zu tun hat, ist verbindlich, nichts ist für mich verpflichtend und einmal ist sowieso keinmal. „Alles ist relativ“, „genieße das Leben“, „nutze die Gelegenheit“, „es lebe der Augenblick und das Abenteuer“, „neue Reize braucht der Mensch!“

Die tatsächliche biologische Welt passt natürlich in keiner Weise in dieses System – darum darf man die Realität nicht zur Kenntnis nehmen. Die Welt der Tatsachen ist zu ignorieren, soweit dies nun einmal möglich ist. Man schneidert sich seine eigenen Realitätskleider selbst und baut sich seine eigene Brille, welche die Welt so zeigt, wie ich sie mir wünsche. Es wird bagatellisiert, relativiert, ausgewichen, weggesehen, um eine Freiheit zu erlangen, die eine absolute Scheinfreiheit ist.

Aber was ist eine Freiheit wert, die auf Illusionen aufbaut, welche die Phantasie zur Realität erklärt? Wo zeigt hier die Angst ihre sichtbare Gestalt? Welches Schlupfloch sucht sie sich, um ans Tageslicht zu kommen?

Sie kommt auf Umwegen und mit vielen Gesichtern: Platzangst in Räumen oder Fahrstühlen, Tierängste aller Art, Höhenangst, Brückenangst und viele gänzlich irreale Ängste mehr. Hier findet die große Angstverschiebung statt, hin zu völlig harmlosen Dingen wie Bakterien, Blindschleichen, Spinnen oder zur grässlichen Maus.

Das neue Programm, das es zu wissen und zu fühlen gilt, heißt: Keine Angst zu haben ist mein Lebensrecht! Ich habe das Recht, ohne Angst zu sein!

Ich identifiziere diese Wolke, die mein Leben verdunkelt und nehme sie in meinen Arm, wenn ich sie spüre. Ich spreche mir ihr und sage ihr, dass sie jetzt frei ist. Ich brauche ihren Schutz nicht mehr, sie kann gehen. Und dann teile ich ihr mit, dass ich jetzt auf dem Weg der Freiheit bin. Ich werde leben ohne sie. Mit der Technik des reinen Beobachtens habe ich ein hervorragendes Mittel in der Hand, um zu sehen, wo ich mit meiner Angst stehe.

Irgendwo zwischen all diesen Formen der Angst steckt jeder von uns, mit seinen Wünschen, seinen Hoffnungen, seinen Sehnsüchten. Jeder sucht seine Ergänzung, jeder möchte geachtet werden, jeder möchte lieben können, jeder möchte seine Angst überwinden.
Überwinden kann man aber nur, was man als wirklich, als existent erkannt hat. Und nur mit dem Realen sollte ich mich auseinandersetzen.

Aus Walter Häge: „Selbstheilung durch neuronale Steuerung“Link zum Verlag

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