Die Leiden mit der Kortisonspritze oder: „killing me softly“

In der Online-Ausgabe vom Juni 2012 der FAZ sichtete ich einen bemerkenswerten Artikel zum Thema: Schulmedizin und der nachlässige Umgang mit Kortisoninjektionen.

Nur der Richtigkeit halber: Es wird kein Kortison verabreicht, sondern Cortisol. Das klingt nach Haarspalterei. Aber die pharmakologisch richtige Bezeichnung ist Cortisol, da Kortison eine biologisch inaktive Form des Cortisols ist. Von daher gibt es keine Kortisonpräparate mehr im Handel. Das letzte Präparat, Cortison CIBA®, wurde 2008 vom Markt genommen.

Was also bei einer „Kortison“-Injektion verabreicht wird, ist die aktive Form Cortisol, wie es auch von der Nebennierenrinde produziert wird. Aber in der Umgangssprache wird auf diese Unterschiede keine Rücksicht genommen, genau wie die Schulmediziner auch wenig Rücksicht zu nehmen scheinen auf die nicht unerheblichen „Neben“-Wirkungen ihrer „Spritz-Touren“.

Denn laut FAZ – unter Bezug auf das „Deutsche Ärzteblatt“ – injizieren die Ärzte was das Zeugs hält (in diesem Fall das Gewebe des Patienten). Eine Gutachterkommission der Ärztekammer Nordrhein legte einen Report vor, laut dem 1528 verdächtige Fälle zwischen den Jahren 2005 und 2009 aufgetreten sind, die ein Verfahren wegen vermeintlicher Behandlungsfehler nach sich gezogen haben.

Bei 278 Fällen, etwa 20 Prozent, lag in der Tat ein solcher Behandlungsfehler vor. Hier handelte es sich um Kortisonspritzen in Gelenke, in den Rücken nahe der Wirbelsäule und Muskulatur. Bei 223 Patienten endete die Injektion mit einer Infektion. Die sprachliche Ähnlichkeit ist dabei nur zufällig.

Oder vielleicht doch nicht? Bei 55 Injektionen wurde ein aseptischer Gewebeschaden produziert. Das sind Gewebeschäden, die nicht auf einer Infektion beruhen, wo Mikroorganismen das Gewebe zersetzen, sondern das Medikament bewirkt die Gewebezersetzung selbst. Und da Cortisol ein kataboles Hormon ist (katabol = abbauend, es fördert den Abbau von Proteinen und Fetten), wundert es nicht, wenn solche Ereignisse in dieser Häufigkeit zu beobachten sind. Im Gegenteil. Es wundert mich aber, dass „nur“ so wenige Fälle von aseptischen Gewebeschäden beobachtet worden sind.

Das Problem liegt in der Hygiene

Aber wie kommt es bei einer Kortisonspritze zu einer Infektion? Ganz einfach: die Gutachter kamen zu der Erkenntnis, dass schlicht und ergreifend die hygienischen Standards nicht beachtet wurden. Da gab es eine mangelhafte Reinigung der Gerätschaften, nicht-aseptische Applikationen usw. Zum Teil wurden Infektionen als solche nicht vom behandelnden Arzt erkannt. Das ist aber noch nicht das Ende der Fahnenstange.

Bei einer Reihe von Applikationen lag keine Indikation für eine Cortisol-Gabe vor. Dann gab es noch Fehlinjektionen, oder die Dosis war zu hoch, oder die Injektionen wurden zeitlich in zu rascher Folge verabreicht, oder der Patient wurde einfach nicht über mögliche Risiken aufgeklärt, oder die Dokumentierung und Organisation wies Fehler auf, oder… oder… oder.

Fragen zur Höhe der Dosierung und Art des Corticoids und ob ein Kanülenwechsel im Falle von Mehrfachinjektionen (beim gleichen Patienten) vorgenommen wurde, konnten von einem Teil der Ärzte nicht beantwortet werden. Bei dieser Erhebung sind noch nicht die Nekrosen und Gewebeschäden am Knochen, Sehnenrisse etc. berücksichtigt worden.

Besonders kritisch kann es werden, wenn, wie zuvor geschildert, Infektionen durch eine Injektion provoziert und dann nicht als Infektionen erkannt werden. Es besteht eine relativ hohe Wahrscheinlichkeit, dass dies zur Bildung von Abszessen in der Muskulatur oder den Gelenken führt.

Dies wiederum birgt die Gefahr einer Sepsis (Blutvergiftung) in sich. Erfolgen die Injektionen/Infektionen nahe der Wirbelsäule, hat der Patient eine „gute Chance“ für eine Lähmung oder sogar Querschnittslähmung.

Knochenzerstörung statt Rettung des Gelenks

Injektionen ins Gelenk werden laut Report auch zu oft und unnötigerweise durchgeführt. Selbst aus schulmedizinischer Sicht sollte eine Kortisonspritze ins Gelenk nur dann erfolgen, wenn aufgrund einer bestehenden Arthrose das Gelenk akut entzündet ist. Hier bewirkt das Cortisol eine entzündungshemmende Wirkung, was sich beim Patienten auch durch ein Nachlassen der Schmerzen bemerkbar macht.

Allerdings sind auch bzw. gerade hier die Risiken von kortisontypischen Nebenwirkungen so hoch, dass der zu erwartende Nutzen in keinem Verhältnis zu seinen potentiellen Schäden steht. Denn die Kortisonspritze beseitigt mit nichten die Ursache für die Arthrose, sondern schaltet nur wieder einmal symptomatisch die „Warnlampe“ Schmerz aus. Dann wird der Patient das Gelenk möglicherweise über das Limit belasten und so zusätzlich beschädigen.

Selbstredend muss der Patient immer dann eine neue Injektion erhalten, wenn die „Warnlampe Schmerz“ wieder „leuchtet“. Eine die Ursachen anfassende Behandlung wird mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ohne Cortisol auskommen können und müssen.

Auf Dauer erleiden Gelenk und Knochen mehr Schaden durch die Nebenwirkungen als durch die Arthrose selber. Eine Studie schätzt die Zahl der Patienten, die mit Kortisonsprtizen ins Gelenk geschädigt werden, auf 8 % aller dieser Fälle. Absterbendes Knochengewebe führt zu einem schnelleren Gelenkverfall als es ohne die Therapie der Fall wäre. Dann brauchen die Patienten fürher ein künstliches Gelenk als es eigentlich zu sein bräuchte. Auch Frakturen infolge der Nekrosen werden durch die Kortisonspritzen wahrscheinlicher.

Die Forscher, die diese Studie erstellt haben, fordern eine bessere Schulung der Orthopäden, damit sie gefährdete Gelenke sicherer von denen unterscheiden können, die von den intraartikulären Injektionen profitieren. Dies setzt bessere Kenntnisse der Interpretation von CT- und MRT-Bildern voraus.

Der Patient hat’s doppelt schwer

Für den geschundenen Patienten gibt es nach erfolgter Peinigung keine Erleichterung durch gerichtlich geführte Regressansprüche. Hier wird er mit hoher Wahrscheinlichkeit ein zweites Mal malträtiert. Denn einen Behandlungsfehler nachzuweisen bei einem Arzt, der sich nicht einmal an den Namen des applizierten Medikaments und dessen Dosis erinnert, dürfte in Ermangelung an notwendigen Zeugen so gut wie unmöglich sein.

Die oben erwähnte nachlässige Dokumentation und Organisation der evidenzbasierten Medizin trägt zudem zur Vernebelung des eigenen Tuns bei, auch vor den Gerichten. Auch eingestellte Gutachter haben oft das Nachsehen, da sie die undokumentierten (oder falsch dokumentierten) Angaben des Arztes nicht nachprüfen können.

Denn wenn der Arzt z. B. angibt, bei einer Mehrfachinjektion die Kanülen jedes Mal gewechselt zu haben, dies aber de facto nicht gemacht hat und dies im Patientenblatt nicht dokumentiert ist, dann hat der Patient ohne einen Zeugen vor Ort kaum eine Chance den Fehler vor Gericht zu beweisen. Es steht dann Aussage gegen Aussage. Dem Arzt kann das Gericht bestenfalls nur Nachlässigkeit bei der Organisation seiner Arbeit vorwerfen. Aber das ist kein ärztlicher Kunstfehler.

Im Resumé des Reports ist folgendes zu lesen: „Es besteht in Deutschland zweifellos eine Übertherapie auch und besonders mit invasiven Verfahren (17, e48). Viele dieser Therapien halten aber bei den entsprechenden Überprüfungen (Cochrane Reviews) den Erwartungen nicht stand (18–22, e32–e36). Es besteht somit die Situation einer nicht vertretbaren Gefährdung der Patienten.

Dies ist umso interessanter, als hier die „evidenzgeile“ Schulmedizin ihre eigenen Prinzipien mit Füßen tritt. Denn es gibt offensichtlich keine wissenschaftlich begründeten Anhaltspunkte, die die heutige medizinische Praxis in diesem Punkt rechtfertigen würde. Oder in einfachen Worten:

Kortisoninjektionen sind nicht evidenzbasiert, werden aber verkauft wie die Semmeln beim Bäcker. Und das Geschrei nach evidenzbasierten Therapien für die alternativen Heilmethoden scheint in der Schulmedizin in dem Maße lauter zu werden, wie sie selbst unbewiesene Therapien zum Einsatz bringt. Denn unser Beispiel der Kortisonspritzen ist nicht die einzige unbewiesene Behandlungsform.

Autor: René Gräber
Quelle: yamedo.de
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