Die „Mutter aller Krankheiten“ – der durchlässige Darm (Leaky Gut)

Von Dr. med. Jürgen Becher

Die Grundlagen

Die Grenze zwischen Darminhalt und Körper – die Darmschleimhaut (Mukosa) – besteht nur
aus einer hauchdünnen einschichtigen Zellreihe. Diese Zellschicht ist bei vielen Menschen
krankhaft durchlässig, weil die Zwischenräume der Zellen unter bestimmten Bedingungen den
Kontakt verlieren. Man spricht dann vom durchlässigen Darm, englisch Leaky Gut. Der
deutsche medizinische Fachbegriff dafür lautet „erhöhte intestinale Permeabilität“.

Die Darmoberfläche ist mit 400 bis 500 Quadratmetern riesig. Auf dieser Fläche tummeln sich
10 bis 100 Billionen Bakterien, also eine astronomisch große Zahl, deren Gewicht rund 1 kg
beträgt. Im Darm sind damit um ein Vielfaches mehr Bakterien als der gesamte Körper Zellen
besitzt. Jeder von uns ist also riesiges Biotop. Wenn man für jedes Bakterium im Darm ein
Sandkorn nähme, dann könnte man damit einen Strand von 10m Breite und 10km Länge
aufschütten.

Man kann sich leicht die Folgen ausmalen, wenn diese riesige Fläche durchlässig wird, und der
aggressive Darminhalt ungehemmt in den Körper eindringen kann. Wegen der großen
Grenzfläche und dem problematischen Inhalt sind im Dickdarm etwa 80 Prozent des
Immunsystems angesiedelt. Bei erhöhter Durchlässigkeit wird diese Abwehrbarriere voll
beschäftigt. So wird verständlich, weshalb ein gesunder oder kranker Darm über Wohl und
Wehe des ganzen Körpers bestimmt.

Die Ursachen

Durch bestimmte Nahrungsbestandteile, Medikamente und künstliche Nahrungszusätze werden
die sonst dichten Verbindungen zwischen den Darmschleimhaut-Zellen aufgelöst. Das kann
man sich so vorstellen, wie wenn man in seinem Haus den Fensterkitt auflösen würde – die
Scheiben fallen heraus, der Wind, Wasser, Schmutz und Diebe kommen herein. Die
Empfindlichkeit für die unterschiedlichen Auslöser ist von Mensch zu Mensch verschieden.
Nicht jeder reagiert gleich stark auf die genannten Ursachen. Beispielsweise entstehen die
„Löcher“ durch Gluten bei jedem Menschen, aber bei den einen schließen sie sich relativ
schnell wieder, während sie bei anderen lange offen bleiben.

Bekannte Nahrungsbestandteile und Stoffe, welche die Durchlässigkeit erhöhen:

  • Gluten (Weizen, Dinkel, Roggen, Gerste, Hafer)
  • Lektine (fast alle Getreide, grüne Tomaten u.a.)
  • diverse Aromen und Nahrungszusätze
  • Antibiotika, Schmerzmittel und evtl. andere Medikamente

Die Folgen

Eine gesunde Darmschleimhaut ist dicht und lässt nur ganz gezielt die völlig verdauten
(„kleingehackten“) Nährstoffe ins Blut. Bei Infekten kann der Körper die Durchlässigkeit
kurzzeitig für das Immunsystem erhöhen, damit die Immunzellen die Schleimhaut
durchwandern können, um zum Beispiel mit der Nahrung aufgenommene schädliche Bakterien
abzuwehren.

Beim Leaky Gut kommt dagegen alles durch, was nicht im Blut und Körper erwünscht ist:

  • Schädliche Bakterien
  • Bakteriengifte
  • Unverdaute Nahrung = Allergene
  • Toxische Nahrungsbestandteile, z.B. Gluten, Lectine, Histamin etc.

Die Folgen im Körper:

  • Der Körper wird mit zahlreichen fremden Substanzen belastet und vergiftet.
  • Die Entgiftung, insbesondere die Leber, läuft auf Hochtouren, und kann die normale Arbeit kaum noch machen.
  • Das Immunsystem gerät in „Panik“ und greift alles an, was ihm in die Quere kommt.
  • Bakterien und Gifte gelangen in den ganzen Körper und führen zu diversen Beschwerden.
  • Der Körper wird schlapp und müde, wie bei einem schweren Infekt.
  • Es wird nichts mehr vertragen, was die Leber noch zusätzlich belastet, z.B. Alkohol.
  • (Multiple) Allergien und Unverträglichkeiten treten auf.
  • Das Immunsystem greift in seiner Überaktivität auch den eigenen Körper an.
  • Krebszellen entstehen und können wegen der Überforderung des Immunsystems nicht mehr zerstört werden.
  • Die schädlichen Substanzen und die Immunreaktion führen zu chronischen Entzündungen und Schmerzen.
  • Paradoxerweise führt die erhöhte Durchlässigkeit dazu, dass die gesunden Nahrungsbestandteile schlechter aufgenommen werden, weil die Nahrung unzureichend verdaut und durch die lokalen Darmentzündungen schneller wieder ausgeschieden wird.
  • Auch eine gesunde Darmflora kann sich bei chronischem Leaky Gut nicht mehr ansiedeln, was einem Teufelskreis gleichkommt, weil die Darmflora ja für eine intakte Schleimhaut notwendig ist.

Krankheiten durch den Leaky Gut

Es entsteht eine Vielzahl von Krankheiten, wie z.B.

  • Allergien: durch die ins Blut eindringenden Nahrungsbestandteile (Nahrungsmittelunverträglichkeiten). Zusätzlich führt die Übererregung des Immunsystems auch zu Allergien gegen Substanzen, die auf anderem Wege aufgenommen werden, z.B. Asthma, Heuschnupfen.
  • Chronische Entzündung des Darms: weil das Immunsystem die durch die Löcher eindringenden Bakterien bekämpft – Colitis Ulcerosa im Dickdarm. Morbus Crohn, wenn auch die anderen Darmabschnitte betroffen sind.
  • Autoimmunerkrankungen: durch die Fehlregulierung des Immunsystems: z.B. chronisches Rheuma (PCP), systemischer Lupus Erythematodes (SLE), Sklerodermie.
  • Krebs: einerseits durch chronische Entzündungen andererseits, weil das geschwächte Immunsystem die neuen Krebszellen nicht mehr bekämpfen kann.
  • Chronische Infekte und Infektneigung: durch die Schwächung des Immunsystems, z.B. chronische Nasen-Nebenhöhlenentzündungen, ständige Erkältungen.
  • Chronische Müdigkeit durch die Überforderung der Leber aber auch anderer Organe und des Immunsystems.
  • Psychische Erkrankungen: durch Entzündungen im Gehirn (z.B. durch Gluten) und Mangel an Nährstoffen kommt es zu psychischen Folgen, z.B. Depressionen und ADHS bei Kindern.
  • Mangelernährung durch unzureichende Aufnahme gesunder Nährstoffe und Fehlen der Hilfe einer gesunden Darmflora mit allen Folgen: Vitamin und Mineralmangel, Müdigkeit, Depression, Herzrhythmusstörungen, Immunschwäche, Osteoporose, Hauterkrankungen etc.

Medizinische Tests

Es gibt verschiedene Tests, mit denen man die Darmschleimhaut und die erhöhte intestinale
Permeabilität = vermehrte Durchlässigkeit nachweisen kann. Für die Beurteilung der Funktion
und des Zustands der Darmschleimhaut dienen beispielsweise die Laborparameter alpha-1-
Antitrypsin im Stuhl, Zonulin und LPS im Serum. Der Laktulose-Mannitol-Test misst direkt die
Durchlässigkeit.

Behandlung

Die Behandlung umfasst vier Schritte 1. Weglassen der Auslöser, 2. Schließen der „Löcher“, 3.
Unterstützung beim Aufbau der gesunden Darmflora, 4. Eventuell (vorübergehender) Ausgleich
eines Mineralstoff- und Vitaminmangels.

Ohne die Wiederherstellung der Darmschleimhautfunktion ist der Aufbau der Darmflora nicht erfolgversprechend. Daher ist die alleinige Gabe von Probiotika (=guten Bakterien) meist nicht
erfolgreich.

Dadurch ergeben sich folgende Maßnahmen:

  • Vermeiden der schädigenden Nahrungsmittel, -zusätze und (wenn medizinisch vertretbar) auslösender Medikamente. Eine glutenfreie Kost ist für mindestens 2-3 Monate zu empfehlen. Danach kann man vorsichtig kleine Mengen probieren und so die individuelle Empfindlichkeit austesten. Ansonsten möglichst wenig industriell verarbeitete Nahrung.
  • Auf PH-Wert 7 – 7,4 der Körperflüssigkeiten achten. Urinstreifen! (Der PH-Wert des Urins ist zwar sehr schwankend, aber 1x am Tag 7 – 7,4 zeigt eine deutliche Tendenz zu einer leichten Alkalität).
  • Wiederherstellung der Mineralspeicher, z.B. durch Korallenpulver. (Dieses, wie auch die Rotalge Lithothamnium, nehmen die überschüssige Säure aus den Körperflüssigkeiten und können dann remineralisieren).
  • Zum Schließen der „Löcher“ gibt es leider noch wenig erprobte Mittel. Mir ist nur ein Medikament bekannt, das gezielt an dieser Stelle angreift. Es handelt sich um bakterienfreie Auszüge von E.coli (Präparat Synerga). Die darin enthaltenen Substanzen helfen der Darmschleimhaut, sich wieder zu regenerieren. Eine Anwendung über 2-3 Monate wird empfohlen. Achtung: Die direkte Gabe von Präparaten mit lebenden E.coli ist bei geschädigter Darmschleimhaut wegen Verträglichkeitsproblemen nicht zu empfehlen.
  • Der Aufbau der Darmflora kann parallel mit dem Schließen der Löcher erfolgen, aber nicht ohne dieses, da weniger erfolgversprechend. Für den Aufbau sollte man ein Präparat verwenden, das verschiedene Stämme von Bifidokeimen und Lactobazillus acidophilus enthält. Möglichst in magensäurestabiler Kapsel und pro Gabe mindestens 10 Milliarden Kulturen, bis zu dreimal täglich (z.B. Effektive Mikroorganismen).
  • Unterstützende Entlastung des Darms von belastenden Giften (z.B. Zeolith, Flohsamen etc.).
  • Je nach Bedarf kurzfristig Nahrungsergänzungen mit Vitaminen und Spurenelementen um den jahrelangen Mangel auszugleichen. (Typisch z.B. Zink, Selen, Folsäure, Vit. B6, B12…).

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