Geist I und Geist II – der niedere und der höhere Geist

Wir nennen alles, was durch das Gehirn wahrgenommen, verarbeitet und interpretiert wird Geist.

Dieser Gesamtgeist eines Menschen ist aufzuteilen in zwei „Geiste”, die in ihrer Qualität grundverschieden sind. In Geist I sind alle Sinneswahrnehmungen angesiedelt, alle Emotionen, alles das, was wir Gemüt oder Psyche nennen. Es ist dies der „niedere” Geist, der seine Triebkraft aus den Sinnen bezieht. Auf eine kurze, prägnante Formel gebracht, gipfelt hier alles in die eine sehr zielgerichtete Frage: „Ist mein Futtersack voll?”

Für den zweiten, den „höheren” Geist, gibt es leider in unseren Sprachen keinen anderen Begriff, kein anderes Wort. Es ist der analytische Verstand oder der urteilsfähige Verstand. Lediglich im Sanskrit gibt es für beide „Geiste” je einen eigenen Namen.

Geist II ist jene Ebene in mir, mit welcher ich mein Denken, meine Motivationen, mein Verhalten auf der Geistebene I beobachten kann. Geist II ist der Beobachter in mir, der, aus seiner Distanz heraus, alles Geschehen so wahrnehmen kann, wie es tatsächlich ist. Dieser beobachtende Geist ist allerdings in der Regel unerkannt. Er ist nicht bewusst in mein persönliches Dasein eingefaltet. Er ist in jedem von uns vorhanden, aber nicht aktiviert. So wenig ich von den Steuerungs-Aktivitäten meiner Körperzellen weiß, so wenig weiß ich von meinem Beobachter.

Die Ebene, von welcher aus mein Beobachter arbeitet, ist ebenfalls komplett unbewusst und muss aktiviert werden. Dies ist eine meiner ganz wichtigen Lebensaufgaben: Ich muss wahrnehmen, muss realisieren, dass es eine innere Kontrollinstanz gibt, die nicht in die tagtäglichen Handlungen eingebunden ist. Diese Instanz reflektiert mir mein eigenes Verhalten und das der Welt um mich, mit welcher ich in ununterbrochener Beziehung stehe.

Diese fundamentalen Geist-Unterschiede sind in unserer Neuronenstruktur eingelagert; diese Unterschiede gilt es zu erkennen: Zuerst ist angesagt, Geist I, den „Handlungsgeist”, den „Oberflächengeist” unseres Lebens kennenzulernen. Was sind seine Inhalte? Wer oder was treibt ihn an? Warum tue ich das, was ich tue? Indem ich diesen Fragen nachgehe, lerne ich ihn kennen.

Etwas kennenlernen heißt, sich aus der direkten Verwicklung zu lösen. Sich nicht mehr mit einem Ding zu identifizieren, heißt zumindest einen kleinen Abstand gewinnen (Wenn ich etwas bin, kann ich es weder kennenlernen noch beurteilen). Das ist der entscheidende erste Schritt auf dem Weg zu mir selbst: Ich schaffe (einen winzigen) ersten Abstand zwischen mich, der ich tatsächlich im Innen bin, und mich, der ich nach außen handle.

Um diesen meinen ersten Geist kennenzulernen, habe ich für mich selbst, nach vielen vergeblichen Anläufen, Buddha zu Hilfe geholt. Alles Bemühen davor war deshalb für mich erfolglos, weil sich dieser Geist mit allen seinen Mitteln gewehrt hat, erkannt zu werden. Es ist seine Grundeigenschaft, eben mit allen Mitteln zu verhindern, mit den eigenen Namen benannt zu werden. Es ist hier wie im Märchen mit Rumpelstilzchen, der wusste, dass er nicht gefunden werden konnte und deshalb unbesiegbar war, solange sein Name geheim blieb. Deshalb sein Refrain, als er in der Nacht ums Feuer tanzte: „Ach wie gut, dass niemand weiß, dass ich Rumpelstilzchen heiß’!”.

Wenn ich eine Sache benennen kann, kann ich sie beobachten, dann wird sie zum Objekt meiner Analyse. Was ich an mir analysieren kann, das kann ich an und in mir verändern, im Geist wie im Körper. Buddha hat uns drei Namen für Geist I gegeben, die sehr hart klingen und die Schrecken einjagen können: Gier, Hass und Wahn. Jeder dieser Begriffe hat viele, viele Unterbegriffe, die am Ende gänzlich harmlos klingen können, aber immer noch Anteile der UrsprungsQualität haben.

Die ersten Schritte des neuen Weges – und es können viele, viele Schritte sein – sind Schritte Auge in Auge mit diesen drei Begleitern der Gier, der Aggression und der irrealen Vorstellungen.

Buddha macht uns Mut für diesen Weg. Immer, wenn sich Schwachheit, Verzagen und Mutlosigkeit nähert, kann sein beschwörend-eindringlicher Appell eine große Hilfe sein:

Mögen wahrlich
eher Muskeln, Haut und Sehen,
mitsamt den Knochen, dem Fleisch und dem Blute
austrocknen und zusammenschnurren,
als dass ich meine Willenskraft aufgebe;
bevor nicht erreicht ist,
was mit Mut, Kraft und Anstrengung
zu erreichen ist
.”
 

Geist I, der Verstand

Der Verstand ist ein Neuro- oder Biocomputer, der etwa ab dem dritten Lebensjahr alle Daten der umgebenden Welt sammelt. Ich bin mit diesem meinem Gehirn an ein weltweites Netzwerk angeschlossen, – jeder von außen kann mir Nachrichten senden. Deshalb benötige ich mein „Ich“ als Zentrum, um mich gegen die von außen kommenden Einflüsse zur Wehr setzen zu können, um diese abschalten zu können. Dieses Ego-Ich ist im Grunde eine Schutzkonstruktion der Evolution.

Fremddaten und Fremdprogramme werden bei mir eingespielt, auf denen dann die Neuronen wie auf einem Klavier spielen. Gleich einem Bienenstock summt und rattert der Verstand Tag und Nacht, macht sich Pläne, verwirft sie, macht sich Hoffnungen, verwirft sie, macht sich Sorgen was sein könnte und denkt sich die Vergangenheit so um, dass sie ins momentane Programm, in die aktuelle Sicht der Welt passt.

Unsere menschliche Tragik ist die, dass kein Knopf zum Ausschalten vorhanden ist.

Durch eine Dauer-Fütterung mit Belanglosigkeiten bis Unsinnigkeiten wird der Denkinhalt seiner Kraft beraubt. Scheinprobleme beherrschen dann das Gehirn. Das, was dieser Schnatterkasten dann in Sprache umsetzt, wird zum Rede-Geplapper.

Der Verstand ist prinzipiell unfriedlich und unersättlich, – was ich oder andere auch hineinschütten, er wühlt und wühlt und kommt nicht zur Ruhe. Die Tragik des Menschseins ist dieser Verstand; er ist grundlegend pathologisch und verleitet dazu, falsche Weltsicht bis Irrsinn als Normalität zu betrachten. Unser grübelnder Verstand in seiner jetzigen Form ist ein Irrläufer der Evolution.

(Nach)denkender, umherschweifender Verstand

  • heißt der Vergangenheit nachgrübeln und der Zukunft voraushoffen. Ich bewege mich damit in einem virtuellen, nichtexistenten Bereich, denn die Vergangenheit ist tot und eine Zukunft gibt es erst, wenn sie im Jetztpunkt gelebt werden kann. Dann ist sie jedoch keine Zukunft mehr.
  • kann nur in Zielen leben. Immer muss etwas angestrebt, geplant, erträumt werden. Alle Ziele sind nicht jetzt und somit nicht real (natürlich kann ich meine Jetzt-Momente in Richtung meiner Zielsetzung steuern; dies ist jedoch mit Wachheit, Klarheit und analytischem Denken verbunden).
  • bindet mich in ein System ein, in welchem alle so denken wie das System. Innerhalb dieses Systems agierend, kann ich es nicht durchschauen. Die einzige Chance ist herauszutreten, um die Strategien von außen zu betrachten.
  • ist ein gesellschaftliches Phänomen der systematischen Zerstörung meines persönlichen Bewusstseins. Zuerst durch Erziehung und Pädagogik, dann durch den kompletten Druck der Gesellschaft.
  • ist ein Gefängnis, ist ein Hamsterrad; ich gehe immerzu im Kreis.
  • erzeugt irrationale Angst, die zu meinem dauernden Lebensbegleiter wird.
  • heißt Jahrhunderte lang ausgesprochene oder nicht ausgesprochene Unsinnigkeiten und Unwahrheiten so lange zu wiederholen, bis sie zu meiner Wahrheit werden.
  • heißt, jede Antwort in eine neue Frage umzudrehen.

Dieser Verstand ist der Eingang zur Hölle. An diesem Eingang stehen das „Haben-Wollen” mit seinen nie endenden Wünschen, die Gier nach Besitz und nach Ehre.

Geist I ist der Geisteszustand des Verhaltens, der Verhaltensebene, mit dem Körper im Mittelpunkt. Hier wird das Angenehme mit dem „Richtigen“ oder dem „Guten“ verwechselt. Hier wird das Dasein auf Zeit mit dem Dauerhaften verwechselt.

Geist I ist ein Synonym für das Oberflächen-Bewusstsein, welches die Betriebsamkeit des Lebens als das Leben an sich ansieht. Der Einfachheit halber, und weil kein besserer Begriff zur Verfügung steht, nennen wir diesen Basisgeist „Verstand“. Ich meine zu verstehen, was auf meiner mich umgebenden Ebene vor sich geht. Auf meine Art versuche ich damit klar zu kommen, versuche ich, mit diesem Verstehen zu leben.

Geist I, mein Verstand, mein Denkapparat, ist mein Sorgenspeicher. Der Verstand konstruiert Sorgen und mein Ich nimmt sie als Realität zur Kenntnis. Dann wird der Körper darüber informiert, der die eingebildete Bedrohung für real hält und entsprechende Abwehr-Substanzen ausschüttet, – ein fataler Mechanismus, der auf Dauer krank macht. Mein Ego ist dieser Sorgenspeicher; er erdenkt sich Bedrohungen die überhaupt nicht existieren und entwickelt für diese Luftblasen Gegenstrategien, die absolut nicht relevant sind.

Dieser Verstand denkt prinzipiell mit zweierlei Maß, er denkt auf zwei Ebenen:

  • Da bin ich. Ich bin der zentrale Punkt, um den sich alles, was ist, dreht (bildlich und tatsächlich). Ich weiß, wie die Welt ist, und muss nötigenfalls die Anderen um mich korrigieren, weil sie nicht wissen, wie die Welt ist.
  • Dort sind die Anderen. Sie sind periphere Punkte, Zuträger, Dienstleister für alles, was ich benötige. Sie wissen nicht wie die Welt ist. Gut, dass es mich mit meinem Wissen gibt.

Indem ich mir einbilde, der zentrale Punkt des Universums zu sein, erzeuge ich in mir ein Kampfverhalten als eine grundlegende Negativität. Es ist eine grundlegende Aggression, welche die Dinge nicht akzeptiert wie sie sind. Ich erlebe das Außen negativ, weil es meinen persönlichen Vorstellungen nicht entspricht und suche mir die logisch scheinenden Begründungen, mit denen ich gegen dieses Außen vorgehen kann. Durch diese selbst erschaffene Logik stelle ich mir einen eigenen Freibrief aus, der für jeden, der sich mit mir einlässt, eine böse Erfahrung werden kann. Ich selbst bin natürlich immer im Recht, weil ich gemäß meiner eigenen Logik handle.

Unser Handlungsgeist kennt nur Dualität, – kennt die Eben von „ja“ oder „nein“, von „richtig“ oder „falsch“, wobei „richtig“ immer das ist, was mir selbst nutzt. Diese Ebene ist ein surrender Prozess, eine Hetze von Hin und Her, welche komplett an das eigene Nervensystem gekoppelt ist. Sinnesreize, wo immer sie auch herkommen mögen, geben den Anlass zur Reaktion: ein nicht sichtbarer und nicht verstehbarer „Außenwind“ treibt mich hierhin und dorthin, lässt mich links oder rechts greifen, lässt mich dies oder das glauben, flüstert mir diese oder jene Meinung ein.

Ein Merkmal dieses Geistes ist, dass er nur reagieren kann; er kann nicht selbst denken! Tatsächliches Denken heißt eine Sache analysieren; – dazu braucht es Distanz. Geist I hat keinerlei Distanz zu seinem Tun. Es ist dies der handelnde, aber nicht erkennende Geist. Der Verstand sieht die Welt wie durch einen schmalen Schlitz, durch seinen Schlitz und er beurteilt sie danach.

Wenn wir innerhalb des Verstandes von „denken“ sprechen, dann meinen wir das planende Verhalten, das Nachdenken darüber, wie ich etwas erreichen könnte, was ich haben möchte oder das Nachdenken darüber, wie ich etwas vermeiden könnte, das ich nicht haben möchte. Ich denke darüber nach wie ich eine Sache angehe, wie ich Schmerz vermeide, wie ich Lust gewinne, wie ich Vorteile erlange, wie ich Nachteile vermeide. Das Merkmal dieses „niederen“ Denken ist, dass keine Distanz zwischen dem Denkenden und dem Denkinhalt besteht: in Geist I sind Denkender und Denkinhalt das Gleiche!

Das Leben in Geist I, im Denken der Erscheinungen, ist ein hypnotischer Zustand der Willenlosigkeit, in welchem die Notwendigkeiten der Lebens-Organisation automatenhaft und unbewusst ablaufen. Dass dies der Betroffene nicht realisiert, tut nichts zur Sache. Was der Betroffene realisiert ist ständiges Leid, ist dauerndes „Rennen an eine Wand“. Wird die Verursachung nach außen projiziert, entsteht ein dauerndes Kampfverhalten, mit dessen negativen psychischen und dann körperlichen Folgen: Krankheit entsteht immer im Geist!

Das muss verstanden werden: Da die Psyche selbst nicht denken kann, wird der unmittelbare Reiz, der unmittelbare Moment zum Herrscher über mich. Die Falle der Psyche heißt: „Das will ich jetzt.“ Die Falle heißt: „Dort ist mein Vorteil“, sie heißt: „Was von alledem bringt mir am Meisten?“ Und: „Das gehört mir!“. „Das ist mein Haus!“, „Das ist meine Frau!“ „Das alles ist mein!“. Und: „Meine Bedingungen sind maßgebend!“ Und so weiter und so fort. Die Tragödie, in welche dieser Geist hineinläuft, wenn er der Herr ist, sie ist vorhersehbar, berechenbar. Die Tragödie ist unausweichlich, unabwendbar, auch wenn großer Reichtum angehäuft wird.

Dies gilt auch für jenen Fall, dass dieser niedere Geist mit einem sozusagen abartigen Analysegeist gekoppelt ist, der die Umwelt so zu manipulieren vermag, dass alles und jedes zu Eigennutz geformt wird: Alles, was zulässt, dass es manipuliert wird, wird auch manipuliert, um die Gier des niederen Geistes groß und größer werden zu lassen.

Der nicht erkennende Mensch erhält die Impulse auf dieser Geist-Ebene

  • von ursprünglichen „lebensrettenden“ Impulsen aus der Kindheit (seinen Fluchtmechanismen).
  • von Manipulatoren jeglicher Art, die ihn fremd- und außensteuern.
  • von selbst formulierten (oft einschränkenden) Glaubenssätzen, – eine Selbstkonditionierung, durch die sich der Charakter weiter negativ festigt.

Dualität ist der Geist der Escheinungswelt, und dieser Geist kann nur erkennen und verfolgen, was sich bewegt. Man liest, dass es Insekten gibt, die nur das sehen, was vor ihren Augen in Bewegung ist. Sitzt ein potentielles Opfer direkt vor solch einem Insekt und es bewegt sich nicht, dann sieht der Räuber nichts, komplett nichts.

Für den Geist der Erscheinungswelt gibt es ebenfalls nur das, was ihm sein Nervensystem mit Hilfe der Sinne sichtbar macht. Dieser Geist erkennt keine tatsächliche Realität, er erkennt ein Segment, das an sein individuelles System gekoppelt ist. Geist I erfährt niemals, wie die Welt wirklich ist; das Tragische ist, er weiß nicht, dass er niemals etwas davon erfährt.

Bei meinem Verstand endet mein Ich an meiner Haut – bis dahin geht alles Interesse. Jenseits meiner Haut ist „alles Andere“, das ich nicht bin.

Tragisch, wenn ich lediglich eine Vorstellung vom Leben sehe, ein Modell, das mir zeigt, was ich meine, was ich glaube, wie ich bin. Was ich auf dieser Ebene „realisiere“ ist eine Halluzination. Teile ich diese mit den anderen Menschen, dann
wird sie zu einem „normalen“ Zustand. Die Täuschung wird normal und manches Menschenkind fühlt sich nur dann wohl, wenn es getäuscht wird. Dann kann das komplette Leben zu einer einzigen Täuschung werden.

Worauf mein Oberflächengeist trifft, ohne dies zu ahnen? Auf Lichtwellen in einem eng begrenzten Bereich. So, dass diese zu einem sichtbaren Objekt werden können. Auf Schallwellen in einem eng begrenzten Bereich. So, dass diese in meinem Ohr gehört werden können. Meine fünf Sinne geben ihre Informationen als energetische Impulse an das Gehirn weiter – und dieses begründet daraus seine Sicht von der Welt. Abermilliarden von einzelnen Sinneseindrücken formen für mich ein privates Bild von der Welt, welches ich irrtümlich „real“ nenne. Es gilt dann der Satz: ‚Die Welt, das ist das, wovon ich meine, dass es die Welt sei‘.

Der Verstand erfährt niemals, dass es keine Außenwelt gibt. Er meint irrtümlich, diese sei von der Innenwelt getrennt. Es gibt kein „Außen“, das vom „Innen“ getrennt wäre. Beide Welten sind eine Welt: Ich und die Realität um mich, wir sind nichtzwei.

Natürlich ist die Welt der Sinne, die oft als „traumhaft“, als „Maya“ (Sanskrit) beschrieben wird, eine reale Welt. Geist I und seine Welt sind real, – schließlich bewegt sich jeder von uns tagtäglich darin –, aber es ist eine Realität „niederer“
Ordnung. In dieser wird sozusagen eine kosmische Täuschung geordnet und strukturiert. (Es muss hier verstanden werden, dass unser Wahrnehmungsvermögen, welches Materie als fest und als dauerhaft klassifiziert, eine komplette kosmische Täuschung ist, auf Grund unserer Sinne, welche die rasende Geschwindigkeit der Elektronen als fest beurteilt).

Das Verlassen des dualen Denkens ist eine Voraussetzung, um zu Geist II vordringen zu können. Buddhas Aussage, dass von jeder Wahrheit auch ihr Gegenteil wahr sei, sollte zu meinem Grundwissen werden, zu meinem Grund-Lebensgefühl, welches dann tief in meinem Energiefeld und damit in meinen Körperzellen verankert sein sollte.
 

Geist II, der Beobachter

„Man muss auf eine Sache einwirken, bevor sie entsteht. Man muss eine Sache ordnen, bevor sie verwirrt ist.“
LAO TSETao Te King, Vers 64

Um zu Geist II zu gelangen, zu meinem analytischen Verstand, zu meinem Beobachter, zu jenem Verstand, der tatsächlich verstehen kann, muss ich wissen, dass ich analog dazu ein ebensolches Bewusstsein besitze. Dieses wird oft mit „Bewusstheit“ übersetzt, um die Unterscheidung vom Alltagsbewusstsein auszudrücken.

Diese Bewusstheit ist mein auswählendes Bewusstsein, welches dem bewussten Willen unterworfen ist- ich will etwas nicht, obwohl ich es problemlos haben könnte. Ich lehne eine Sache ab, obwohl sie mir zu meinem scheinbaren Vorteil angetragen wird.

Zu Geist I gehört das entsprechende Bewusstsein der Oberfläche, des Hamsterrades, des alltäglichen Handelns. Natürlich ist dieses Bewusstsein der Handlungsebene real und notwendig. Um meine Dinge zu regeln, die zu regeln sind, ist dieses Bewusstsein, in welchem ich alles plane und in eine Form gebe, unverzichtbar und notwendig. Ich kann nicht in irgendwelche „höheren“ Bewusstseins-Sphären abschweifen, wenn mein Kind weint, wenn mein Auto einen Plattfuß hat, oder wenn Tante Frida ihren Besuch für morgen ankündigt.

Geist II, den analytischen Verstand benötige ich, um hinter die vordergründigen Dinge zu schauen, hinter die Handlungsebene, dort wo sich die Motivationen befinden. Immer, wenn ich dort angelangt bin, weiß ich die Zusammenhänge und benötige deshalb den hin- und herdenkenden Verstandesteil nicht mehr wirklich.

Analytischer Verstand heißt:

  • Ich bin achtsam und beobachte alles was auf mich zukommt, alles, dem ich begegne, sei es materiell oder energetisch.
  • Ich nutzt diese neurologische Möglichkeit, um hinter die Dinge zu schauen: Ich fühle, spüre und erkenne die Falschheit, die Lüge, die Intrige, das Drumherummogeln, die List; aber auch die Not, das Elend, die Einsamkeit, die Hilflosigkeit.
  • Ich erkenne das weinende Kind im Herrenmenschen und die Sehnsucht nach Glück in der Selbstentwertung.
  • Ich qualifiziere das, was auf mich zukommt und mich zu verwickeln sucht in „heilsam” oder „nicht heilsam” (wie Buddha sagt) und nehme daraufhin an oder lehne ab. Dazu benötige ich keine Worte und keine Begründungen, denn ich handle aus meinem Innern heraus entweder so, oder so nicht.
  • Der möglichst unverschleierten, realen Analyse, folgt die realitätsbezogene Handlung: Ich denke ja oder ich denke nein. Ich sage ja oder ich sage nein. Ich handle ja oder ich handle nein. Da ist niemand, dem ich mich rechtfertigen müsste, außer mir selbst.

Geist II ist allerdings nicht in dem Sinn „höher“, als er mich über andere Menschen stellen würde. Das wäre absolut falsch verstanden. Natürlich kann ich mir einbilden, Geist II zu besitzen, dies wäre aber traurigerweise eine Fiktion, wäre spiritueller Hochmut. Dieses durch ein scheinbares höheres Wissen vernebelte Ego nannte der Lama Chögyam Trungpa ‚spiritueller Materialismus‘: Ich meine etwas Geistiges zu haben, was andere nicht hätten und ich bin stolz darauf! Statt der unabdingbaren Ego-Reduzierung habe ich mir ein „höheres“ Ego hinzugefügt, eine spirituelle Luftblase.

Hochmut, auch in allerfeinster, kaum wahrnehmbarer Form, ist das untrügliche Zeichen, dass dieser Mensch noch an Geist I und an sein Ego gebunden ist, gleich was er sagt, gleich was er tut; er mag noch so bescheiden oder “spirituell“ daherkommen. Kann ich seine innere Gespanntheit wahrnehmen, dann fühle ich die Unstimmigkeit.

Geist II steht mit beiden Beinen auf diese Mutter Erde und nimmt die Herausforderungen des Lebens an. Es gibt keine Flucht in eine Traumwelt, in Hoffnungen und Wünsche, in nebulöse Vorstellungen. Mein Beobachter lebt und wirkt mit voller Kraft in dieser 3D-Welt und bezieht Energie und Inspiration aus dem Kosmos. Geist II ist nichts für Gutmenschen, die alles schönreden und in ihrem inneren, zwanghaften Irrwitz alles positiv deuten müssen.

Geist II ist dadurch gekennzeichnet, dass er einen Willen besitzt, der handlungsfähig ist und diesen Willen durchsetzt, – gegen die Stürme von außen und gegen die Dämonen im Innern.

Dieses Bewusstsein höherer Ordnung, welches dem Beobachter eigen ist, kennt zu allem die Wahlmöglichkeit, die durch den Willen entsteht, etwas zu tun oder etwas nicht zu tun, ja zu sagen oder nein. Ist dieses Bewusstsein etabliert, gibt es keine Frage einer Wahl mehr, weil sich jegliches Negative von vornherein ausschließt.

Das Umhertreiben im Außenwind, die Impuls-Reiz-Reaktion, der wir ausgeliefert scheinen, hat ein Ende, wenn realisiert wird, dass es einen Willen gibt. Dieser Wille formt sich durch das höhere Bewusstsein, – dieses höhere Bewusstsein formt den Willen. Erst auf dieser Bewusstseinsstufe bin ich erwachsen geworden, bin ich reif geworden für das Leben, um klar abschätzen zu können, wie real meine Wünsche und Begierden sind. Erst hier kann ich erkennen was sie bewirken, wem sie zugutekommen, auf wessen Kosten sie gehen, welche Motivation hinter meinem Wollen steht und was mich tatsächlich antreibt.

Die erste Aufgabe dieses Willens ist, den Körper zu regulieren. Die sichtbarste Nicht-Regulation ist Übergewicht bis hin zur Fettleibigkeit. Hier versagt der Geist in dramatisch sichtbarer Weise, denn selbst das eigene Spiegelbild versetzt dem so verunstalteten Menschen keinen solchen Schock, dass er das Steuer herumreißen würde. Als Außen-Beobachter kann man nur mit Entsetzen ahnen, wie geschunden, hilflos und desorientiert der Geist dieses Menschen sein muss.

Es gilt also, den Geist zu regulieren, welcher dann als eine seiner ersten Aufgaben dem Körper zeigt, was ihm tatsächlich guttut. Dazu muss der Geist ruhig sein, zielgerichtet und geduldig. Dazu müssen die konditionierten Gewohnheiten überprüft und geändert werden. Das, was man „Charakter“ nennt, ist eine Summe von zwanghaften Gewohnheiten, die sich immer wieder abspulen und deshalb für normal gehalten werden.

Durch meinen Willen löse ich mich von meinen Sinnen und von meinen Konditionierungen als Befehlsorgane und stoße in ein Bewusstsein der Freiheit: Freiheit von Außensteuerung, Freiheit von Fremdimpulsen – auch Freiheit von charakterlicher Eigen-Konditionierung. Ich versuche meinen bewussten Willen auszudehnen, bis tief in mein Unbewusstes hinein. Ich bin kein Automat mehr. Ich spule nicht mehr die falsche Software ab.

Und um dahin zu gelangen, installiert der Wille seinen Beobachter.

Meinen Beobachter installieren

Der Vorgang, in meinem Bewusstsein den höheren, analytischen Beobachter zu installieren, ergibt eine dramatische Veränderung meiner Lebensperspektive. Dieser Beobachter war die ganze Lebenszeit schon vorhanden, doch, um mit dem Physiker David Bohm zu sprechen, er war nicht aktiviert, er war „eingefaltet“. Nun, durch den Akt meines Willens, ist er ausgefaltet und gibt meinem Geist erkennende Impulse, die vorher nicht vorhanden waren.

  • Ich bin jetzt in der Lage, zu erkennen, was um mich herum im Außen tatsächlich vor sich geht, weil ich nun hinter diese vordergründige Ebene blicken kann und die Motivationen zum Handeln erkenne. Und, noch weitergehend: Ich bin jetzt in der Lage, zu erkennen, was in mir selbst, in meinen Gedankenkonstruktionen, in meinem Gefühlshaushalt vor sich geht.
  • Ich kann jetzt auf mein erstes inneres Etappenziel zusteuern, das da heißt: „Ich will denken was ich will!“ Keine Fremdsteuerung meiner Gedanken mehr! Dieser mein surrender Bienenstock im Kopf wird meinem Bewusstsein untertan, wird zu meinem Diener. Ich bin sein Herr!
  • Ich beobachte, dass ich mich mit Dingen identifiziere, die ich nicht bin.
  • Ich identifiziere mich mit dem eigenen Körper: Natürlich bin ich eigener Körper, aber nicht wirklich. Ich habe einen Körper.
  • Ich identifiziere mich mit meinen Gefühlen, meinen Emotionen. Gefühle kommen und gehen, sie entstehen und verschwinden. Ich bin nicht Gefühl, ich habe Gefühle.
  • Ich identifiziere ich mit meinen Plänen, meinen Absichten, meinen Meinungen, eben mit meinen Gedanken. Ein Gedanke kommt, bleibt eine Weile und geht dann. Es kommt und geht ein Gedanke, dann der nächste, dann der nächste. Ich bin nicht meine Gedanken, ich habe Gedanken.

Als Beobachter trete ich aus meinem System heraus und beobachte mich von außen. Ich trete einen Schritt zurück und bin Zeuge dessen was ich tue, denke, fühle. Beim „Mich-selbst-Beobachten“ geschieht eine grandiose Umwandlung hin zur Bewusstheit.

Das Ego-Ich dreht und windet sich, denn es entsteht an seiner Stelle eine neue, umfassende Qualität: Wo vorher „Ich“ war ist jetzt „Sein; wo vorher „Die Anderen“ waren ist jetzt „Wir“. Beim Beobachten stellt der Ratterkasten Verstand seine umhersummende Tätigkeit ein und fokussiert sich auf das, was ich tue. Der Verstand gibt langsam seinen Geist auf und ist Zeuge, – sonst nichts.

Als Beobachter kann ich nur Jetzt-Momente Beobachten, was jetzt geschieht, was jetzt real ist. Was ich nicht beobachten kann vollzieht sich nicht auf dem Boden des Jetzt, auf dem Boden des Tatsächlichen. Was nicht auf dem Boden des Jetzt passiert, kann ich getrost vergessen, denn es ist Fiktion, nicht existent, irreal, virtuell und spielt sich nur in meinem Denken ab. Der Beobachter sucht keine Lösung mehr, – er ist die Lösung. Der Beobachter löst das duale Denken des Verstandes Stück für Stück auf und die ultimative Erkenntnis rückt immer näher: alles ist eins.

Nur was ich beobachten kann ist für mich existent. Was nicht existent ist lasse ich los, löse ich auf.

Das Einzige was es zu lernen gibt ist totale Aufmerksamkeit, ist beobachten. Nur dies ist existentielles Lernen.

Ich beobachte

  • wie ich mich bewege und welche Körperhaltung ich habe.
  • welche Körpersprache ich spreche.
  • aales, was ich tue.
  • was ich wie spreche.
  • den einzelnen Gedanken, wenn er kommt, was er bewirkt, wann er geht.
  • mein Haben-Wollen, mein Verlangen nach etwas (wer oder was hat es ausgelöst?).
  • meine aufwallenden Emotionen in bestimmten Situationen (warum reagiere ich so?).

Durch Beobachten beginnt der Prozess, welcher das Problem löst. Dieser Schlüssel muss unbedingt verstanden werden! Verstehen, was da vor sich geht und weshalb sich etwas gerade so darstellt, treibt den Lösungsprozess weiter.

Klarheit („Klarblick“) und Verstehen ersetzen die herkömmlichen Lösungen eines Problems, denn mein Problem ist nur vorhanden, weil bei mir keine Klarheit vorhanden ist.

  • Durch Klarheit und Verstehen wird eine Sache erst gar nicht zum Problem, das dann irgendwann einer Lösung bedarf.
  • Ein Problem entsteht, weil mein Verstand etwas falsch beurteilt hat, weil ich mich von Emotionen habe hinreißen lassen, weil ich Zusammenhänge nicht verstanden habe.
  • Habe ich aktuell ein Problem, dann hilft mir die Distanz, die ich zwischen mich und meinem Problem schiebe: Ich beobachte, wie und warum ich mit dem Problem verbunden bin und löse die Verbindungsfäden.
  • Manchmal lässt sich ein unlösbar scheinender Knoten nur mit dem „Schwert der Wahrheit“ scharf und schnell lösen. Das kann sehr schmerzhaft (für alle Beteiligten) sein.
  • Genau das ist Meditation und meditatives (tagtägliches) Handeln: eine Distanz, einen Raum zwischen mich und meine Probleme zu schaffen.

Wenn mein Selbst die sich nicht drehende, bewegungslose Achse meines Lebensrades ist, erkenne ich die Probleme als mir nicht zugehörig. Die Probleme sind nicht ich. Es sind Schmerzpunkte im Weltengetöse um mich herum, die allerdings durch meine eigene Unbewusstheit entstanden sind.

Bewusstheit und Probleme verhalten sich umgekehrt proportional. Bei vollkommener Bewusstheit gibt es keine Probleme mehr.

Der Prozess, der ein Problem zur Lösung bringt, ist niemals auf der Ebene des Problems angesiedelt. Das, was man auf der Problemebene als Lösung ansieht, kann kurzfristig Ruhe bringen, wird dann aber dann wieder zum Problem. Echte Lösungen gibt es nur auf der nächsthöheren Ebene. Kleines Beispiel: Sie sind nach einer Auseinandersetzung mit Ihrer Frau wutentbrannt weggegangen, um ein Bier zu trinken. Normalerweise, auf der Problemebene, würden Sie dabei Argumente sammeln, um diese dann bei der Rückkehr Ihrer Frau „um die Ohren zu hauen“. Eine Möglichkeit wäre dann ein „Waffenstillstand“, weil eine Partei einknickt und sich scheinbar geschlagen gibt: keine Lösung des Problems.

Auf der höheren Ebene gibt es nun diese Möglichkeit: Sie gehen kein Bier trinken, sondern in einen Blumenladen und kaufen Ihrer Frau/Ihrer Freundin, (die Sie ja hinter Ihrem Groll von Herzen lieben), einen großen Strauß roter Rosen. Es sollte ein großer Straus sein, die doppelte Größe wie üblich, – und die Rosen sollten, wenn möglich, rot sein, auf gar keinen Fall weiß! Dann gehen Sie nach Hause und überreichen wortlos den Strauß und nehmen dabei Ihre fassungslose Frau in den Arm. Das ist die 3. Dimension, die hiermit eingeleitet wird und zu einem offenen und ehrlichen Gespräch führen kann, bei welchem jeder dem anderen tatsächlich zuhört, um dessen Bedürfnisse zu verstehen.

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