Vom Zaubern: Zauber Zeit

Nana lehnt sich an einen Baumstamm und spricht zu Vladimir:
„Zaubern ist leicht, weil Zaubern nichts anderes als Fühlen ist. Fühlen von Dingen und Fühlen zu Dingen. Und da alles das, was wir „Ding“ nennen, nur anders lebt wie wir, können wir mit allen Dingen sprechen.

Natürlich nicht so, dass man Wörter bepackt und losschickt. Dieses umständliche Menschenverhalten ist nicht notwendig. Zauberer brauchen keine gesprochenen Worte, manchmal sogar keine Sprache. Beim Zaubern verbinden sich zwei Seelen. Sie treffen aufeinander, umschlingen sich und schwingen gleich. Ob diese zweite Seele ein Baum ist oder ein Stein oder ein Mensch, das ist gleich. Bäume und Menschen bewegen sich. Steine in der Regel nicht. Steine haben eben eine andere Seele. Man muss nur den Zauber kennen. Der ist so einfach, dass man ihn nicht zu lernen braucht.

Zaubern können heißt wissen. Das Wissen um die Dinge und um die Lebewesen, so wie sie tatsächlich sind. Nicht wie wir sie uns erträumen, wie wir sie gerne hätten oder wie wir sie uns wünschen. Auch nicht wie wir gesagt bekommen, dass sie seien. Wer weiß, braucht nichts mehr auswendig zu lernen. Wer weiß, braucht nichts mehr nachzusagen!

Zaubern können heißt auch ‘sehen können’. Nicht nur das, was wir ‘Ding’ oder ‘Körper’ nennen. Auch das, was um den Körper ist, den Körper, der fast immer unsichtbar bleibt.

Wer richtig sehen kann, der versteht auch, weil ‘verstehen’ bedeutet, dass man etwas richtig sieht. Richtig sehen und richtig verstehen ist ein und dasselbe.

Die Menschen haben da viel durcheinander gebracht. Sie verwechseln ständig  die Begriffe. Sie verwechseln auch dauernd das Wesentliche mit dem Nicht-Wesentlichen. Zauberer sehen klar. Deshalb sind sie ohne Angst. Zauberer leben mit allem Leben, deshalb sind sie auch nie allein. Wir müssen alle Zauberer werden.“

Warum Zauberer gesund sind

Immer weiter atme ich tief und lang, da höre ich durch den schweren Atem  die Hainbuche sprechen:

„Vladimir“, sagt sie, „du besiegst gerade die Angst in dir, weißt du das?“

„Nein“, antworte ich, „ist das Angst, was mich so bedrückt?“

„Ja“, erwidert der Baum; „Angst macht starr, Angst lähmt, Angst macht bewegungslos. Wer viel Angst hat, lebt nicht mehr richtig. Angst ist eine schreckliche Menschenkrankheit“.

„Eine Krankheit, was ist eine Krankheit“, muss ich fragen.

„Krankheit ist, wenn die Seele nicht mehr atmen kann. Wenn die Seele eingeschnürt wird und zu schrumpfen scheint, spürt dies der Körper und wird krank. Erst wird das, was wir Psyche nennen, krank, dann der Körper. Die Menschen haben viele Krankheiten. Ihr Körper funktioniert dann nicht mehr richtig. Zauberer können nicht krank werden, weil sie keine Angst haben. Und wenn die Angst kommt, besiegen sie diese.“

Jetzt bin ich etwas verwirrt. Das mit der Angst verstehe ich nicht richtig. Ich habe keine Angst und trotzdem kann sie kommen?

Mein Freund, der Baum hat meine Gedanken verstanden und antwortet:

„Es gibt zwei Arten von Angst, die eingebildete und die wirkliche, die vor einer Gefahr warnt. Die wirkliche kann man besiegen. Man kann, durch die Angst gewarnt, eine Gefahr umgehen oder vermeiden. Ist dies nicht möglich, muss man den Kampf mit ihr aufnehmen. Ein Zauberer gewinnt diesen Kampf immer. Er ist auf der Seite des Lebens“.

„Und die eingebildete Angst?“

„Dies ist die Angst der Menschen. Kein Baum hat diese Angst, kein Frosch, kein Kuckuck, kein Fuchs und keine Möwe. Die Menschen haben den Boden unter den Füßen verloren. Sie wissen nicht mehr, wo sie herkommen, sie wissen nicht mehr, wo sie hingehen. Die Menschen wissen überhaupt nichts mehr. Deshalb haben sie vor allem Angst, deshalb sind sie krank.“

Die Hainbuche verstummt. Mir ist auch nicht mehr nach Hören oder nach Reden zumute. Ein Summen durchzieht mich, als höre ich von weit, von ganz weit Nanas Stimme. Was sagte die Hainbuche? ‘Was gleich schwingt, das mag sich, was gleich schwingt, das braucht sich, was gleich schwingt, das liebt sich’. Und wie ich meine ferne Nana liebe! Meine Gedanken gleiten zu ihr hin und da schwingt es zurück – Nana schickt mir ein Lied!

Wildgänse fliegen übers Land,
mit weiten, weichen Schwingen,
gleich einem langen Zauberband
und rauhem Gänsesingen.

Die Füchse tragen Winterkleid,
kein Blatt mehr an den Linden.
Für Heimatsucher wird es Zeit,
nun einen Platz zu finden.

Ganz tief in dir ist immer Raum,
ist Heimat durch die Zeiten.
Grad wie im alten, alten Baum,
spürst Du die Ewigkeiten.

Ganz tief in dir lebt alles Sein,
das Nahe und das Ferne.
Und niemals mehr bist du allein:
Schau dort, Millionen Sterne.

Ganz tief in dir bist immer du,
auch die, die immer waren.
Drum schweige still und höre zu,
lass deine Ängste fahren.

Wildgänse fliegen übers Land,
mit weiten, weichen Schwingen,
gleich einem langen Zauberband
und rauhem Gänsesingen.

Warum Zauberer glücklich sind?

Nana weiß es.

„Unglück ist wie Angst“, sagt sie, „es kommt irgendwann und du musst bereit sein. Unglück kommt und geht, Glück nicht. Glücklich sein ist einfach da. Natürlich einmal mehr und einmal weniger. Glücklichsein schwingt wie alles andere auch. Es gibt oben und unten, aber Glücklichsein ist etwas Bleibendes.“

„Sind Zauberer glücklich?“, frage ich.

„Zauberer sind deshalb glücklich, weil sie das Leben erkennen. Im Sandkorn wie im Grashalm, im Tier wie im Menschen. Alles ist wie es ist. Alles ist gut wie es ist. Alles ist mit allem verbunden, jeder gehört dazu, jeder gehört zu allem. Auch die Sonne, auch der Mond, auch die Sterne.“

„Dann ist niemand einsam?“, frage ich weiter.

 „Niemand ist allein. Wir sind alle Kinder des Universums, wir sind alle Kinder der Sonne. Wir essen Sonne, wir trinken Sonne, wir sind Sonne. Jeder nur ein wenig anders. Und weil wir alle Schwestern oder Brüder sind, haben wir keine Angst voreinander. Angst hat man nur vor dem Fremden. Für uns Zauberer gibt es keine Fremden und nichts Fremdes. Und wer keine Angst hat, der kann glücklich sein.“

 „So einfach ist das, so einfach?“, frage ich.

„Ja“, sagt sie, „alle großartigen Dinge sind gänzlich einfach. Wir Zauberer müssen dies weitersingen, weiterschwingen, weitergeben, weiterleben.

Weitersagen hilft wenig. Worte sind leer. Benutze so wenig Worte wie möglich.“

 „Aber es gibt doch noch Menschen, die Worte verstehen“, gebe ich zu bedenken.

„Diesen darfst du sogar deinen Zauber weitergeben“, lacht Nana – „Vielleicht sind dann deine Haare schon grau und du bist bereits ein alter Zauberer geworden. Aber du weißt ja, für uns gibt es keine Zeit, – wir sind ewig.“

Walter Häge aus: „Eine kleine Anleitung zum Glück“

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Verantwortlich: Darya Shepeleva

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